„Midnight Breed“ von Lara Adrian (mit Spoilern)

Die Reihe

„Ein Kader von Muskelprotzen – äh – starken Männern auf der Suche nach ihren Gefährtinnen“ – so oder so ähnlich kann man etliche Romanreihen beschreiben. Ob Black Dagger von J. R. Ward, Die Herren der Unterwelt von Gena Showalter oder Midnight Breed von Lara Adrian. Die Romane gehören in das Genre Romantasy, sind also eine Mischung aus Romance und Fantasy. Die Bücher sind reine Frauenbücher, einen Mann könnte man mit so einem Roman vermutlich um den Block jagen. Es dreht sich alles um Liebe, Erotik (viel Erotik) und Geheimnisse/Hindernisse auf dem Weg zum ewigen Glück.

Midnight Breed von Lara Adrian ist eine bisher unvollendete Romanreihe mit zur Zeit mindestens 15 Bänden und mehreren Kurzgeschichten.
Worum es geht:
Tja, die Hintergrundgeschichte ist etwas „speziell“, an der Idee hatte ich eine Weile zu knabbern.
Vor Jahrtausenden ist ein Raumschiff mit acht außerirdischen Kreaturen auf der Erde notgelandet. Ihre Haut war extrem UV empfindlich, sie waren also stets nachts unterwegs. Sie waren Krieger, Jäger und schlicht blutrünstige Monster. Ihr hochentwickelter Organismus konnte die irdische Nahrung nicht verwerten, so dass sie Menschenblut trinken mussten, immer hübsch aus einer frisch geöffneten Vene. Dosenblut wie in True Blood wäre für sie nichts gewesen.
Mordend, plündernd und vergewaltigend zogen sie jahrhundertelang durch Europa. Irgendwann stellten sie fest, dass einige der von ihnen vergewaltigten Frauen schwanger waren. So entstand „der Stamm“. Außerirdische Vampire… So schräg das auch klingt, man gewöhnt sich im Laufe der Reihe an diese Vorstellung.
Die Nachkommen der Alienvampire ernähren sich ebenfalls von menschlichem Blut und können nicht so ohne weiteres in die Sonne. Sie nehmen sich menschliche Gefährtinnen und gehen mit ihnen eine unauflösliche Verbindung ein, um immer eine Nahrungsquelle in der Nähe zu haben und um Söhne zu zeugen.
Der Stamm hat neben der extremen Sonnenallergie noch ein anderes großes Problem: Zuviel Blut kann einen Vampir zu einem Rogue werden lassen, einem Blutjunkie, der wahllos jeden Menschen anfällt, der ihm über den Weg läuft.
Ein Kriegerorden in Boston hat sich dem Kampf gegen die Rogues verschrieben. Die Vampirkrieger gehen nachts auf Patrouille oder auf die Jagd und finden die große Liebe.

Gelesen werden die ersten zehn Bücher von Simon Jäger, der die Geschichte nicht einfach nur liest, sondern spielt. Obwohl ich ihn als Sprecher anderer Romane super finde (z. B. Bobby Dollar von Tad Williams), habe ich mich bei seiner Interpretation der Lara-Adrian-Bücher oft aufregen oder bekichern müssen. Ab Band elf werden die Hörbücher von Richard Barenberg heruntergeleiert.

Zuerst erschienen in meinem Telegram-Channel: https://t.me/s/eulenalltag/62

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Autorin und Titel

Lara Adrian oder Tina St. John, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, schreibt Liebesromane. Das tut wie wohl schon länger, aber erst ihre Bücher über die Vampire des Mitternachtsstamms, Midnight Breed, haben sie so richtig bekannt gemacht. Deshalb ist die Reihe wohl auch so lang geworden, sie enthält 15 Romane, 7 Kurzgeschichten und ein Begleitbuch. Es gibt Taschenbücher, eBooks und Hörbücher. Ins Deutsche übersetzt wurden die Bücher von Katrin Kremmler und Firouzeh Akhavan-Zandjani.

Man kann die Reihe in zwei Staffeln aufteilen, die Bände 1-10 gehören zur ersten Staffel. Alle Bände sind nach dem gleichen Muster gestrickt – hinreißende Frau trifft auf finsteren Vampir. Oder auch andersherum, will sagen: finsterer Vampir begegnet hinreißender Frau. Finstere Frauen gibt’s hier natürlich nicht, hinreißende Vampire – ja, vermutlich schon, ist Geschmackssache. In den ersten zehn Büchern gibt es eine Hintergrundhandlung, die sogar ziemlich spannend ist, es geht um nicht weniger als das Schicksal der ganzen Welt.
Bedauerlicherweise kennt die Autorin den Spruch „Aufhören, wenn’s am schönsten ist“ wohl nicht. In Band 10 werden die Weichen für eine weitere größere Hintergrundstory gestellt. Aber die Luft ist hier schon ziemlich raus. In den drei oder vier von mir gelesenen Büchern dieser zweiten Staffel gibt es weniger Spannung, mehr Wiederholungen, häufiger (Beinahe)Sex, langweiligere Dialoge und unglaubwürdigere Geschichten.

Der erste Band erschien auf Deutsch 2007 und hatte den poetisch klingenden Titel Geliebte der Nacht. Die nächsten Titel… Tja… Ich weiß nicht, welcher Verlagsazubi sich durch den Duden wühlen musste, aber er hat einiges an Titel-Quatsch fabriziert. Neun Titel der ersten Staffel fangen mit dem Buchstaben G an:
Gefangene des Blutes (Band 2)
Geschöpf der Finsternis (Band 3)
Gebieterin der Dunkelheit (Band 4)
Gefährtin der Schatten (Band 5)
Gesandte des Zwielichts (Band 6)
Gezeichnete des Schicksals (Band 7)
Geweihte des Todes (Band 8)
Gejagte der Dämmerung (Band 9)
Dann sind dem Titelerfinder die Wörter mit G wohl ausgegangen, denn Band 10 heißt Erwählte der Ewigkeit.
In der zweiten Staffel dominiert übrigens das V (z. B. Verstoßene des Lichts).
Was soll das? Wer kann sich diese Scheußlichkeiten denn merken? Wenn ich an Band 4 denke, dann so „Ach ja, Dylan und Rio“. An die Paar-Konstellationen erinnert frau sich hier viel leichter.

Zuerst erschienen in meinem Telegram-Channel: https://t.me/s/eulenalltag/64

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Handlung

Die Fotografin Gabrielle Maxwell wird Zeugin eines grausamen Mordes, aber als sie sich panisch an die Polizei wendet, glaubt ihr niemand. Zumindest scheint es so, doch ein paar Tage nach dem besagten Mord meldet sich Detective Lucan Thorne bei ihr. Der Polizist ist ungemein attraktiv, sehr verständnisvoll und in jeder Hinsicht ein Traummann. Je näher Gabrielle ihn kennenlernt, desto mehr wird sie, zunächst unbewusst, in eine finstere Welt hineingezogen. Ihr neuer Freund entpuppt sich als ein fast tausend Jahre alter und hochpotenter Vampir.
So lautet die Kurzzusammenfassung des ersten Bandes der Reihe Midnight Breed von Lara Adrian, Geliebte der Nacht.

Ganz langsam wird Gabrielle in die ihr neue Welt eingeführt und der Leser gleich mit. Sie erfährt von dem Vampirstamm und dessen Gegnern, den blutrünstigen Rogues, von ihrer eigenen Bestimmung. Gabrielle ist eine sogenannte Stammesgefährtin, eine Frau mit „besonderen genetischen Eigenschaften“, die sich mit einem Vampir paaren und mit ihm Söhne haben kann. Diese Besonderheit ist äußerlich an einem kleinen Muttermal erkennbar, das eine ganz spezielle, unverkennbare Form hat – eine Träne, die in eine Mondsichel fällt. Eine Stammesgefährtin bleibt menschlich, sprich: ihr wachsen keine Fangzähne, sie kann weiterhin ein ausgedehntes Sonnenbad nehmen und nach Herzenslust gewöhnliche Nahrung zu sich nehmen, braucht aber Vampirblut, um ewig jung und gesund zu bleiben.
In der Vampirbevölkerung gilt eine Stammesgefährtin als heilig, heißt es. Im Verlauf der Reihe zeigt sich jedoch, dass dies nicht immer stimmt, denn schurkische Vampire haben mit diesen Frauen andere Pläne, als sie nur zu verehren.

In „Midnight Breed“ geht es vordergründig um die Liebesgeschichten, doch es gibt auch eine hochinteressante Hintergrundgeschichte. So interessant, dass ich mir manchmal wünsche, die Bücher wären als Fantasy-Thriller erschienen mit weniger Bettszenen und mehr Jagd nach dem Feind.
Der Feind ist in der ersten Staffel ein mächtiger Vampir namens Dragos, der die ganze Menschheit unterjochen will und auch vor seiner eigenen Spezies nicht halt macht. Um seine finsteren Pläne zu verwirklichen, hat er jahrhundertelang im Untergrund die Fäden gezogen und sich eine Armee von nahezu unbesiegbaren Killern herangezogen. Die interessantesten Bände der Reihe sind – meiner Meinung nach – diejenigen, in denen es um die Hauptwaffe von Dragos geht, einem gefangenen Alienvampir, einen von den ursprünglichen acht Kriegern, die auf der Erde gelandet sind.
In der zweiten Staffel tritt eine andere Gefahr für die Menschheit und die Vampire auf den Plan in Gestalt von Selene, der uralten Königin der Atlantiden.

Die Bücher der Reihe sind, obwohl alle ähnlich, von unterschiedlicher Spannung. Man weiß bereits, dass Sie und Er sind näherkommen und für immer zusammenbleiben werden, verfolgt aber trotzdem gerne das Wie. Es gibt in jedem Band etliche Konflikte und noch mehr Liebesszenen. Insbesondere die letzteren sind Geschmackssache. Während sich tausende Leserinnen an diesen speziellen Stellen erfreuen, müssen andere vermutlich eher in die Tischkante beißen. Diese Textstellen sollen leidenschaftlich klingen, die Bücher sind schließlich Erotikromane, aber wie soll ich bei Wortkonstellationen wie „glorreiche Invasion“ und „welterschütternder Orgasmus“ ernst bleiben?!

Zuerst erschienen in meinem Telegram-Channel: https://t.me/s/eulenalltag/67

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Die Frauen(rollen)

Die Reihe „Midnight Breed“ zielt auf ein ausschließlich weibliches Publikum, denn es geht um Romantik, ewige Liebe und starke Kerle/Vampire, die immer können. Früher ging es in Liebesromanen um edle Earls, durchtrieben-charmante Piraten, geheimnisvolle Agenten, atemberaubende Milliardäre (die sind offenbar auch heute noch „in“), Männer also, die das Sagen haben und ihre Frauen immer und jederzeit beschützen können. Ein Liebesroman-Vampir ist all das in einer Person. Weil er – meistens – schon älter ist, ist er ein Frauenversteher, hat Geld wie Dreck, kann die ganze Nacht und ist verschlossen/traumatisiert/sonstwas, und nur seine Liebste kann ihn davon heilen.

Der Schwerpunkt der Romanserie liegt also, trotz der wirklich spannenden Hintergrundgeschichte, definitiv auf der Liebesgeschichte und den Hindernissen, die es auf dem Weg zum ewigen Glück zu überwinden gilt. Das „ewig“ ist hier keine Übertreibung, denn sobald sich eine Stammesgefährtin mit einem Vampir verbunden hat, gibt es kein Zurück. Sie bleiben auf immer miteinander verbunden und können einander immer spüren, selbst wenn sie sich später einmal trennen sollten. Eine solche Verbindung ist in Fantasy-Romanen ziemlich beliebt, s. beispielsweise die berühmte „Bis(s)“-Reihe von Stephenie Meyer. Offenbar gehen die Autorinnen von Romantasy davon aus, dass es genau das ist, was sich eine moderne Frau wünscht…
Apropos, moderne Frau. Gabrielle und ihre Freundinnen, die im Laufe der nächsten Bände dazukommen, sind genau das – modern. Sie sind selbstbewusst, verdienen sich selbst ihren Lebensunterhalt, sind unabhängig und stark, sie sind jede für sich das Idealbild einer emanzipierten Frau. Sie sind Künstlerinnen (Gabrielle, Savannah), Tierärztinnen (Tess), Journalistinnen (Dylan), Leibwächterinnen (Renata), Buschpilotinnen (Alex). Aber auch vernachlässigte Ehefrauen (Claire), sich aus einem Kokon der Traditionen befreiende zarte Witwen (Elise), gebrochene ehemalige Polizistinnen (Jenna) und und und. Zwar verfügen alle Heldinnen als Stammesgefährtinnen über eine übersinnliche Gabe, trotzdem findet vermutlich jede Leserin eine Figur in diesen Büchern, mit der sie sich identifizieren kann.

Zuerst erschienen in meinem Telegram-Channel: https://t.me/s/eulenalltag/70

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Doch dann laufen die Frauen jeweils ihren Vampiren über den Weg und von der ganzen schönen Emanzipation bleibt nicht mehr viel. Es ist ja schön und gut, dass sie einen Mann fürs Leben finden, ob nun Vampir oder nicht. Aber die Heldinnen in „Midnight Breed“ verbinden sich nicht nur auf ewig mit einem Vampir, sie geben auch ihr früheres Leben komplett auf. Die einzige Ausnahme ist kampferprobte Renata, die auf den nächtlichen Straßen die Bösen abknallen darf. Die gefeierte Fotografin Gabrielle fotografiert zwar immer noch, aber nur noch für den Eigenbedarf, Tess heilt zwar noch, aber nur noch die Vampirkrieger nach einem Kampf, Dylan, Alex, Tavia und die anderen sind „nur noch“ Ehefrauen ohne feste Aufgaben. Sie helfen ihren Kriegern bei der Rettung der Menschheit vor Dragos und später vor Selene, aber das tun sie aus einem tiefen Bunker heraus, den sie aus Sicherheitsgründen kaum je verlassen. Während ihre Männer in den Straßen für die Sicherheit der Stadt sorgen, hört für die Frauen praktisch jeder Kontakt zu der Welt vor dem Bunker auf. In der zweiten Staffel geht es etwas fortschrittlicher zu, Carys und Jordana arbeiten in einem Museum, Mira eifert ihrer Ziehmutter Renata nach und geht mit den Jungs auf Patrouille.

Diesen Aspekt überliest frau leicht beim ersten Mal, denn die Konzentration der Leserin solcher Bücher liegt ganz klar auf der Lovestory (und den nicht jugendfreien Szenen). Erst beim ReRead stellen sich dann die Fragen ein, weil die Geschichte ja schon bekannt ist und man mehr auf die ganzen Hintergründe achtet. Erst bei der wiederholten Lektüre fällt- neben den oben angesprochenen Überlegungen – auf, dass der erste Band eine noch nicht ganz ausgereifte Fantasy-Welt präsentiert. Bei den Folgebänden hat die Autorin Lara Adrian mehr auf Kontinuität geachtet, was ihr bis auf einige Ausnahmen auch gelungen ist. Vielleicht war der erste Band zunächst nur ein literarisches Experiment, das unerwartet Erfolg hatte und die Autorin dazu zwang, die Folgebände besser zu planen.
Ungereimtheiten oder schlicht äußerst unglaubwürdige Aussagen in den Büchern sind beispielsweise:
„Wieso hat Rio Evas Verrat nicht bemerkt? Die beiden waren doch miteinander verbunden!“
„Hatte Tegan wirklich 500 (!) Jahre lang keinen Sex?“
„Wieso stirbt Dragos nicht wie in Miras Vision? Ihre Visionen gelten als absolut unfehlbar.“
„Corinne hat etwa 80 Jahre lang in Gefangenschaft verbracht und verhält sich fast normal? Echt jetzt?“
„Rogues sind rein instinktgesteuerte Kreaturen, sie haben nach der Mutation selbst die Sprachfähigkeit verloren. Im ersten Band kann man aber doch mit ihnen kommunizieren?“
Und so weiter.

Merke: Wer Lese-Unterhaltung will und Herzklopfen, der (die!) greife zu Midnight Breed. Aber bitte vorher den Kopf ausschalten.

Zuerst erschienen in meinem Telegram-Channel: https://t.me/s/eulenalltag/71