In einer Dimension, die neben/über/unter/in unserer eigenen existiert, fließen die menschlichen Ideen, Gefühle, Emotionen, Kreativität, Hoffnungen, Pläne etc. zusammen. Diese Dimension nennt sich „das Wiedenfließ“. Grob gesagt, es ist Himmel und Hölle in einem. Dort herrscht seit über 4000 Jahren der Fürst, der GottTeufel – NuNdUuN. Um ihn vom Thron zu stoßen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen, stürzt sich der junge Berliner Magier Hiob Montag in ein Abenteuer sondergleichen – in das SPIEL: Das Fließ stellt ihm Aufgaben, die er lösen muss, für jede Aufgabe gibt es Punkte. Gewonnen hat er, wenn er 78 Punkte gemacht hat. Das ist allerdings nicht einfach! Seit vielen Jahrhunderten ist der Weltrekord von 17 (!) Punkten ungebrochen.
So in etwa lautet die Kurzbeschreibung der Reihe Hiobs Spiel von Tobias O. Meißner. Eigentlich also ein mehr oder weniger typischer Fantasy-Stoff – Gut gegen Böse. Was der Autor aber daraus gemacht hat, sprengt alle Dimensionen inklusive Wiedenfließ. Das Schreibprojekt ist auf 50 Jahre angelegt und läuft inzwischen seit 25 Jahren, ist also in der Halbzeit. Bisher sind allerdings nur vier Bände erschienen. Der Stoff ist, wie man sich denken kann, schwer verdaulich und entsprechend schwer verkäuflich. Nur echte Fans des Autors, Horror-Leser und Abenteurer lassen sich auf diese Lektüre ein. Die Reihe ist also ein echter Geheimtipp.
Zuerst veröffentlicht in meinem Telegram-Kanal am 08.04.2018
Die ersten beiden Bände erschienen 2002 und 2006 im Verlag Eichborn. Nachdem der Verlag Insolvenz anmelden musste, dauerte es bis 2012, bis der dritte Band auf den Markt kam, herausgegeben vom kleinen Verlag Golkonda. Wie die Bände 1+2 wurde auch der dritte Band ein Hardcover, jedoch anders gestaltet, so dass sich die Bücher, äußerlich nicht ähneln. Im Jahr darauf veröffentlichte Golkonda optisch an Band 3 angeglichene Taschenbücher zu den ersten beiden Bänden. Für diese Neuauflage hatte der Autor Tobias O. Meißner die ursprünglich für Eichborn gekürzten Passagen wieder eingefügt (diese waren für Eichborn wohl zu „heftig“). Band vier erschien erst vor wenigen Wochen. Optisch wieder ein Hingucker, jedoch im Vergleich zum dritten Band etwas bescheidener gestaltet. Das Lesebändchen hat der Verlag sich diesmal gespart und auch das Papier scheint etwas dünner zu sein. Beide Bücher haben gleich viele Seiten, das vierte ist aber etwas schmaler.
Die Innengestaltung der Bücher war sicher eine Spielwiese für die/den Layouter*in, wo er oder sie sich richtig austoben durfte. Verschiedene Schriftarten, verschobene Ränder, graue Seiten, Randbilder, spiegelverkehrte Sätze – das ganze Buch ist von vorne bis hinten, vom Schutzumschlag bis zur letzten Seite ein Kunstwerk, s. Fotos.
Sprachlich ist das Buch ein Geniestreich. Wer schon immer wissen wollte, wozu die deutsche Sprache fähig ist, sollte Hiobs Spiel lesen. Der Autor schon den Leser nicht. Der Schreibstil ist abwechselnd roh (auf gut Deutsch gesagt, ein echter „Tritt in die Fresse“), poetisch, träge, nachdenklich, leidenschaftlich und manchmal auch nichts davon und zugleich alles zusammen und noch mehr. Eine Geschichte, die einen richtig besoffen von Worten macht.
Zuerst veröffentlicht in meinem Telegram-Kanal am 12.04.2018
Hiob Montag, 21, Enkel eines ehrgeizigen Magiers, Sohn einer Hexe, wohnhaft in Berlin, durchgeknallt bis zum Gehtnichtmehr, ist die Hauptfigur der Buchreihe. Er entdeckt die Geschichte des Spiels und beschließt, den Fürsten der Finsternis/Gott den Herrn/NuNdUuN herauszufordern. Denn wenn er, Hiob, 78 Punkte macht, kann er dessen Platz einnehmen und die Welt verändern, sprich: verbessern, so die Spielregeln.
Die Aufgaben werden ihm teilweise vom Wiedenfließ gestellt, teilweise stolpert Hiob selbst über magische Probleme, die es zu lösen gilt. Das Spiel führt ihn an ferne Orte, vergangene Zeiten und mitten hinein in schräge Abenteuer. Er lernt das Böse in etlichen Formen und Verkleidungen kennen, kämpft gegen die Elemente und gegen sich selbst, versucht Unschuldige und die Welt zu retten und geht dabei über Leichen.
Die Figur des Hiob Montag ist die ambivalenteste, die mir je in einem Buch untergekommen ist. Er ist größenwahnsinnig (mehr wahnsinning als groß) und oft bis zum Erbrechen arrogant und er ist eines definitiv nicht – einer von den Guten. Er ist dermaßen von sich überzeugt, dass ihm der Gedanke, er könnte das Spiel verlieren, gar nicht kommt, jedenfalls nicht in den ersten zwei Bänden. Ab Band drei muss sich der Held dann mit Niederlagen abfinden, was ihm nicht guttut, aber hierdurch wird er erwachsener und denkt nach, bevor er handelt (was ihn nicht daran hindert, trotzdem Dummheiten zu machen).
Er hat bisher so viele Punkte sammeln können, weil er nach seinen eigenen Regeln spielt und ihm die Verluste meist am Allerwertesten vorbei gehen. Seine Vorgänger haben sich immer Sorgen um die Nebenwirkungen ihres Tuns gemacht, diese sind Hiob aber schnurz, er will gewinnen, egal wie.
Zu seinen bisherigen Aufgaben gehören (eine kleine Auswahl): Ein Monster in einer Irrenanstalt in Südamerika, Knecht Ruprecht, Hinterkaifeck, Feuer und Wasser, eine wildgewordene Hundemeute, Giftmüll und vergiftete Magie, der eigene Doppelgänger, eine Comic-Reihe, ein kleiner Gummiball, seine sexuelle Orientierung, Möchtegern-Vampire etc.
Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Bände. Bisher war Hiob nie zimperlich, wenn es um die Punkte ging, aber ab Band fünf dürfte er selbst den Rest der Zurückhaltung aufgeben und noch unberechenbarer werden als vorher schon. NuNdUuN sollte sich warm anziehen!
Zuerst veröffentlicht in meinem Telegram-Kanal am 23.04.2018