Der Krieg hat kein weibliches Gesicht – Swetlana Alexijewitsch

 

Swetlana Alexijewitsch hat 2015 Jahren den Literaturnobelpreis bekommen. Im Zuge der damaligen Berichterstattung hatte ich mir auch die Bücher dieser bemerkenswerten Autorin angesehen. Nach und nach landeten alle Bücher der Autorin in meiner Bibliothek, zunächst als eBooks, später als Hardcover.
Mein erstes Buch war Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (Originaltitel: У войны не женское лицо). Ich war zunächst an eine alte Version geraten, als mir das klar wurde, kaufte ich die aktuelle ebook-Version – und las das Buch nochmal. Ich glaube, zwischen den beiden Lesedurchgängen lagen keine zwei Wochen. Auf diese Weise konnte ich beide Fassungen vergleichen.
Nachfolgende Rezension schrieb ich 2015 – und sie ist immer noch aktuell.

Der Zweite Weltkrieg wurde für Russland zum Großen Vaterländischen Krieg, vier Jahre lang haben die Russen, Ukrainer, Weißrussen, Kasachen, Tataren und und und gegen die Deutschen gekämpft, die auf Hitlers Befehl im Juni 1941 in Russland einmarschierten. Hitlers Truppen haben sich an Mütterchen Russland die Zähne ausgebissen, Swetlana Alexijewitsch zeigt, warum.

Im Vorwort sagt die Autorin, dass man im Laufe der Zeit die Geschichte des Krieges gegen die Geschichte des Sieges ausgetauscht habe. Sie hat nach Menschen gesucht, die ihr vom Krieg erzählen, vom Menschlichen inmitten des Unmenschlichen, von Heldentaten, die nie jemandem aufgefallen sind, die aber dennoch zum Sieg beigetragen haben. Sie wollte über den Menschen im Krieg schreiben, über Details, die niemals in irgendeinem Kriegsbericht auftauchen würden.
Sie schreibt über junge Frauen, die mit neunzehn bereits ergraut waren, über Mütter, die ihre Kinder Minen in Körben tragen ließen, weil Kinder seltener durchsucht wurden, über Sechzehnjährige, die ihren Zöpfen nachtrauerten, die aber fest entschlossen waren, ihr Vaterland zu verteidigen, genau wie die Männer es taten. Der Wunsch, an die Front zu kommen und Feinde zu töten, trieb fast eine Million Frauen und Mädchen in die Rote Armee. Das hat mit der russischen Mentalität zu tun, die Nicht-Russen kaum begreifen können. Im Russischen schreibt man alle Substantive klein, wie im Englischen, nur Namen und besondere/wichtige Wörter werden groß geschrieben. Das Wort „Rodina“ (Heimat, Vaterland) schreibt man immer groß, es kommt von „rod“, was soviel wie Geschlecht, (Familien)Stamm, Generation heißt und dieses „rod“ ist enthalten in den russischen Wörtern für Geburt, verwandt, nah/vertraut, Quelle. Vielleicht versteht man so eher die auf einigen Seiten stehende Aussage „Das Vaterland und wir, das ist ein und dasselbe“. Für dieses Vaterland haben die Frauen aus Alexijewitschs Buch gekämpft, genauso wie für sich selbst und ihre Angehörigen. Sie waren aber trotz allem immer noch Frauen, sie wollten trotz des Gemetzels um sie herum immer noch gefallen, sich verlieben. Sie arbeiteten so hart, dass sie nach dem Krieg Invaliden waren. Viele nahmen später jahrelang überall nur Blutgeruch wahr, konnten die Farbe Rot nicht ertragen, waren traumatisiert und unfruchtbar.

Was mich beim Lesen am meisten schockiert hat, sind nicht die Grausamkeiten, die Menschen im Krieg einander antun können, sondern die Folgen des Krieges für die Soldatinnen. Vor wenigen Jahren erst habe ich davon erfahren, das war mir einfach nicht klar gewesen, und hier im Buch taucht diese Ungerechtigkeit wieder auf. An der Front waren die Frauen Heldinnen, sie kämpften Schulter an Schulter mit den Männern, arbeiteten in der Versorgung oder im Untergrund, aber als es vorbei war, wurden sie offen angefeindet. Viele Frauen haben sich geschämt zuzugeben, dass sie an der Front gewesen waren. Der Krieg und der Sieg wurden schließlich zur rein männlichen Angelegenheit. Das ist leider wahr; ich habe früher viele Kriegsgeschichten gelesen und Kriegsfilme gesehen, viele davon im Unterricht, aber Frauen kamen darin kaum vor. So gesehen ist Alexijewitschs Bericht etwas, das das Ganze wieder ins rechte Licht rückt.

Für die aktualisierte Fassung sind ein paar Dinge gestrichen worden, hier ein-zwei Sätze, dort eine Szene (z. B. die über die in deutsche Gefangenschaft geratene Fallschirmspringerin Anja, die, als man sie zum letzten Mal aus der Zelle holt, ihre Mitgefangenen bittet, den Löwenzahn vor dem Gitterfenster zu gießen). Anderes ist hinzugekommen und das ist auch gut so, es macht diesen Kriegsbericht vollständiger. In der alten Ausgabe gibt es z. B. keine Hinweise auf die Übergriffe auf deutsche Frauen und Mädchen durch die sowjetischen Soldaten. Auch fehlt jegliche Kritik an dem damaligen stalinistischen Regime. In der überarbeiteten Fassung schreibt Alexijewitsch darüber, wie auch über die Internierung der Kriegsrückkehrer.

Die neue Ausgabe ist also noch stärkerer Tobak als die alte. Noch realistischer, viel schrecklicher. Ich hatte an vielen Stellen feuchte Augen. Das Grauen wird nicht geringer, wenn man es öfter liest.

Fazit: Eines der wichtigsten Bücher, die es gibt.