Der Teegott

Die Geschichte des Schreibens

Meine ersten Geschichten schrieb ich in Schulhefte, in die ich in der Mitte weitere Seiten einklemmte. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf mit einem Plot im Kopf und musste dann nach einer Weile raus aus den Federn, weil die Geschichte „rauswollte“.
Mit den heutigen Augen gelesen sind meine damaligen Werke der größte Schrott der Welt.
Als Entschuldigung mag herhalten, dass ich ein Teenie war, der es schlicht nicht besser wusste und konnte.

Anfang der 90er Jahre bekam ich meine erste Schreibmaschine, ein klobiges Teil aus Gusseisen, vielleicht noch während des Zweiten Weltkriegs hergestellt. Man musste mit Wucht in die Tasten hauen, damit sich auf dem eingespannten Blatt etwas tat. Das Farbband war fortschrittlich, sprich: es war zweifarbig, schwarz und rot.
Auf diesem Ungetüm tippte ich keine Geschichten, dafür war das Gerät zu schwer zu bedienen und meine Deutschkenntnisse noch zu mies. Stattdessen schrieb ich weiterhin mit Kugelschreiber ganze Hefte voll.

Meine damaligen Geschichten waren alle etwas längere Erzählungen, „Romane“ in meinen Augen. So plante ich sie auch: länger, richtige Bücher eben. Kurzgeschichten schrieb ich damals nicht, das kam erst später und zwar so: In der Handelsschule interpretierten wir mal wieder eine Kurzgeschichte und ich dachte mir: „Momentaufnahmen mit abruptem Ende? Kann ich auch!“.
Ich hatte da schon meine eigene elektrische Schreibmaschine, eine hübsche, etwas eigenwillige Hercules. Darauf tippte ich Gedichte und schrieb meinen ersten „großen Roman“ über eine unheilbar kranke junge Frau, die feststellt, dass ihre beste Freundin eine Außerirdische ist und mit dieser Freundin auf deren Planeten auswandert. Hach ja, Raumschiffe und Aliens und fremde Planeten, meine große Leidenschaft! Jedenfalls klapperte ich manchmal tagelang auf der Hercules herum. Meine Familie hat sich nie über das Dauergeklapper beschwert, was ich bis heute nicht nachvollziehen kann.

Nachdem ich mir gesagt hatte „Kurzgeschichten kann ich auch“, begann ich mit ebendiesen. Es waren kleine, ein bis vier Seiten lange Werke, hauptsächlich im Genre Science-Fiction. Ich war so kühn und zeigte einige davon herum. Sogar an ein paar Verlage habe ich die geschickt, was mir bis heute oberpeinlich ist. Eine Antwort bekam ich nur von zwei Verlagen, einer schrieb, das Thema passe nicht ins Verlagskonzept, und vom anderen wollte die freundliche Anruferin wissen, an welche Adresse sie die Manuskripte zurückschicken solle. Ich hatte auf den Manuskriptseiten nur meinen Namen und die Telefonnummer angegeben. Danach habe ich es nicht wieder versucht, weil mir langsam klar wurde, dass ich zwar für mein Leben gerne schreibe, aber noch sehr viel zu lernen habe.

Ende 1999 kaufte ich dann meinen ersten PC. Das Tastaturgeklapper wurde leiser, die Ablenkung (Internet!) größer, trotzdem schrieb ich viel. Die Gedichte gab ich auf, die Kurzgeschichten gingen dagegen weiter. Auch eine längere Geschichte begann ich. Die junge Frau auf dem fremden Planeten war unvollendet in der sogenannten Schublade verschwunden. Jetzt gab es ein Mädchen, eine Leibeigene, die sich als Tochter des Gottkaisers entpuppt. Hundert Seiten Text, unzählige Notizen, selbst gezeichnete Karten und Bis-in-die-Nacht-Schreiben folgten – und auch diese Geschichte landete unvollendet im Nirwana. Danach war erstmal Schluss mit Schreiben.

Ideen hatte ich mehr als genug, aber in meiner Vorstellung waren das allesamt Ideen für richtige Bücher. Viiiieeel zu anstrengend!
Ich tauchte ins Internet ab, verlegte mich auf Buchbesprechungen, Leserunden, egal was, Hauptsache, die Worte konnten raus.
Hin und wieder schrieb ich eine halbe Seite, im besten Fall eine ganze, machte mir Notizen, hatte unzählige neue Ideen. Alles versandete im Nirgendwo.

Erst 2013 ging es wieder los. Es gibt Ideen, die sich in den Gehirnwindungen festkrallen und nicht wieder loslassen. Ich zerpflückte die Gottkaisertochter-Geschichte und fing wieder von vorne an, pickte mir die meiner Meinung nach besten Stücke für das neue Werk raus. Diesmal schrieb ich aus der Sicht der männlichen Hauptfigur. Nach dem gefühlten Drittel, gut 250 Seiten später, machte ich eine Pause (die leider bis heute anhält). Damals, 2013, schrieb ich auch meine erste Kurzgeschichte nach über zehn Jahren. Die Idee dazu verfolgte mich seit etlichen Jahren, ich wusste nur nicht, wie ich diese zu Papier bringen sollte. Dann setzte ich mich einfach hin und schrieb sie innerhalb von drei Tagen fertig. Angespornt vom Gelingen dieser Kurzgeschichte, schrieb ich weitere. Manche hatten jahrelang in meinem Kopf gelauert, andere überfielen mich aus dem Nichts. So ein Überfall ist übrigens nicht nett! Da flüstert dir die Muse, oder wie immer das Miststück heißt, eine Idee ins Ohr und diese Idee breitet sich dann rasend schnell in deinen Gedanken aus. Es gibt keine anderen Themen mehr, die Idee ist wie ein Waldbrand, vernichtet alle Neuronen, die sich ihr in den Weg stellen. Pech, wenn man gerade in der Arbeit ist und es noch Stunden bis zum Feierabend sind.

Manchmal habe ich zuerst eine grobe Vorstellung von einer neuen Geschichte und muss sie dann ausarbeiten, sprich: die Details hinzudichten. Manchmal habe ich nur einen Namen, ob nun den Name einer Figur oder eines Ortes. Manchmal nur die Überschrift, zu der ich mir dann die Geschichte ausdenken darf.

So wie jetzt, beispielsweise. Alltagssituation: Ich habe mal wieder gesehen, wie sich jemand in meiner Nähe einen Tee macht. Den Teebeutel in einen Becher legen, kochendes Wasser drüberkippen, den Beutel ein paar Mal kräftig ins Wasser tunken, herausnehmen und am Teelöffel auswringen. Voilá! – schon hat man gefärbtes heißes Wasser. Oder – auch beliebt – den Teebeutel mindestens zehn Minuten im Becher mit heißem Wasser lassen, dann wie verfahren wie oben beschrieben, tunken und auswringen. Womit hat der Tee diese Behandlung verdient?! Ich kann nicht mal hingucken ohne Herzklopfen! Ich bin für artgerechtes Teetrinken, so etwas geht gar nicht.
Es war dieser Moment als ich dachte „Hoffentlich hat der Teegott das nicht gesehen.“ Bäng! Da war sie, die neue Überschrift! Nur – dabei bleibt es vorerst auch. Ich habe keine Ahnung, wie man eine Geschichte über den Teegott schreibt. Warum kam mir nicht Pachamama in den Sinn? Über die weiß ich Bescheid, es gibt sogar einen Wiki-Artikel. Aber ein Teegott? Gibt man Begriff in die Suchzeile bei Google ein, kommen Vorschläge von Tee-Shops. Wer oder was ist er also? Was macht er? Wer betet ihn an? Die Japaner? Ist das der Sinn der japanischen Teezeremonie? Gottesanbetung? Wen straft er? Menschen, die Billigtees kaufen?
Der Teegott wird also noch lange keine Kurzgeschichte werden. Aber ich werde die Augen offen halten und möglicherwiese kommt mir beim Teetrinken die eine tolle Idee.

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Diesen Text schrieb ich vor exakt zwei Jahren auf Facebook. Damals hatte ich gerade meinen Mut zusammengenommen, um auf Twitter ganz unverbindlich nach Lektoratspreisen zu fragen. In zwei Jahren hat sich einiges getan. Es gibt inzwischen je zwei veröffentlichte Kurzgeschichtenbände und Novellen. Es gibt mehrere fertige, noch nicht veröffentlichte Kurzgeschichten. Es gibt die Idee für einen Roman.
Es bleibt also spannend.

Möge der Tee stets mit uns sein.